Die größte deutsche Boulevard-Zeitung titelte, dass ein Kind bis zu 16 Infekte im Jahr bräuchte, um ein gesundes Immunsystem zu haben. Gleichzeitig wird behauptet, dass die schlimme Erkältungswelle, die wir Ende 2022 erlebt haben, daran läge, dass wir davor zwei Jahre Corona-Maßnahmen hatten. Wenn man nicht regelmäßig Infekte hätte, müsse man das alles nachholen. In diesem Zusammenhang geistert der Begriff „Immunschuld“ durch die Presse. Wie bei allen Fakes gibt es auch ein paar Ärzte, die das unterstützen, trotzdem ist das größtenteils Blödsinn, der aus dem esoterischen Bereich stammt.

Das Immunsystem ist kein Muskel

Corona-Virus

Corona-Virus – seriöse Informationen statt Ideologie

Unser Immunsystem ist kein Muskel, der trainiert werden müsste. Wenn jemand durch Masken oder Abstand weniger Infekte hat, ist sein Immunsystem hinterher nicht besser oder schlechter, sondern er war einfach nur seltener krank, was gut ist.

Das Körnchen Wahrheit, das oft in solchen Märchen steckt, liegt dort, dass wenn Kinder in einer sehr sterilen, desinfizierten Umgebung aufwachsen, das Immunsystem leidet. Wir alle wissen, dass Kinder auch „im Dreck spielen“ sollen.

Das hat nun aber nichts mit den Corona-Maßnahmen zu tun. Selbst wir, die wir teils den ganzen Tag Masken tragen, müssen um unser Immunsystem keine Sorge haben, denn in unserer Umwelt leben so viele Viren, Bakterien und Pilze, dass unser Immunsystem genug zu tun hat am Abend, in der Nacht, im Garten, in der Familie usw.

Die Behauptung von Querdenkern, dass Maskentragen das Immunsystem schwächt und deshalb jetzt alle krank sind, ist nachweislich falsch. Das sieht man auch daran, dass in Schweden zeitgleich exakt die gleiche Erkrankungswelle durchrauschte, obwohl Schweden so gut wie keine Corona-Maßnahmen hatte. Und daran, dass bei uns Kleinkinder besonders schlimm betroffen sind bis zu Todesfällen durch RSV, Kleinkinder aber nie Masken getragen haben.

Es gibt sehr unterschiedliche Viren

Das Thema ist aber natürlich nicht so einfach, wie sich das viele machen. Ganz grob müssen wir nämlich noch zwischen verschiedenen Viren unterscheiden:

  • Es gibt tausende recht harmloser Erkältungsviren, Immer mal wieder löst das eine oder andere Virus eine Erkältungswelle aus. Wer es bekommt, ist halt krank. Wer nicht, holt das auch nicht nach, denn wenn die Welle durch ist, steht das nächste Virus zur Welle bereit.
  • Dann gibt es Viren wie RSV (Respiratorische Synzytial-Virus), die immer wieder in leichten Abwandlungen kommen und immer wieder anstecken können. Diese macht man irgendwann zum ersten Mal durch und wenn es wiederkommt, hat man eine Teilimmunität und wird beim wiederholten Mal meist nicht so schwer krank. Um die Ansteckung kommt also keiner herum, die meisten Kinder bekommen das zum ersten Mal im ersten Lebensjahr. Besonders Babys können davon aber auch schwer betroffen sein. Deshalb ist es sogar nützlich, wenn die RSV-Welle vor Jahren wegen der Corona-Maßnahmen deutlich kleiner war und die Kinder erst davon getroffen wurden, wenn sie älter sind
  • Und dann sind da die Viren, die immer da sind, die man nur einmal bekommen kann, vor denen man sich also nicht drücken kann. Davor schützen keine Masken dauerhaft, irgendwann werden sie kommen. Da diese aber oft gefährlich sind, können wir uns davor mit Impfungen schützen. Masern ist so ein Beispiel.

Viren können das Immunsystem langfristig schwächen

Bleibt die Frage, warum in ganz Europa Ende 2022 die RSV- und Erkältungswelle so schwer verläuft. Auch darauf gibt es mehrere Antworten, eine der wichtigsten ist:

Viele Viren „stärken“ das Immunsystem nicht, sondern schwächen es für einige Zeit. Besonders auch Corona hinterlässt ein desolates Immunsystem, es dauert lange, bis der Körper das wieder repariert hat. Und nun trifft die alljährliche RSV- und Erkältungswelle auf eine Bevölkerung, die inzwischen zu großen Teilen einmal oder gar mehrfach Corona hatte. Je öfter die Erkrankung, desto größer die Gefahr.

Dazu ist es speziell bei RSV wie erläutert nun so, dass augenblicklich mehr Kinder betroffen sind als in den letzten Jahren, weil auch viele Kinder dieses zum ersten Mal bekommen, die nun schon 1 oder 2 sind. Bei Erwachsenen gibt es keinen Unterschied.

Deshalb kann es nur eine Konsequenz geben: Jeder sollte sich schützen so gut es geht, um Corona so selten wie möglich zu bekommen.

Es gibt keine „Immunschuld“

Fazit: Weder Kinder noch Erwachsene brauchen eine bestimmte Anzahl an Infekten, um das Immunsystem zu trainieren. Niemand muss krank werden, um das nächste Mal nicht krank zu werden. In den allermeisten Fällen muss auch niemand ausgefallene Infekte nachholen.